Durch Russland surfen wir von Couch zu Couch durch die unendliche Weite Sibiriens. Das kaum gedämpfte Stampfen der transsibirischen Eisenbahn als niemals enden wollendes Begleitgeräusch unseres Abenteuers:

Mit drei Rucksäcken und einer Plastiktüte voller Verpflegung starten wir in Frankfurt auf dem Landweg über Polen und Belarus nach Moskau, weiter und immer weiter ins größte Land der Erde hinein, über den Ural nach Sibirien. Wir machen Halt in Perm, Kungur, Novosibirsk, Irkutsk und Ulan Ude. Einen extra langen Aufenthalt gönnen wir uns am Baikalsee, dem größten Süßwassersee der Welt.

Dort genießen wir die raue Natur nur durch eine Zeltwand getrennt. Das Wasser ist klar, hat Trinkwasserqualität und erlaubt Sichtweiten bis in 40 Meter Tiefe. Tapfer nehmen wir ein Bad auf der größten Insel Olchon, die ohne geteerte Straßen oder Geldautomaten eine beachtliche Menge an naturinteressierten, vor allem russischen und chinesischen Touristen beherbergt. Kultur pur genießen wir als Kontrast im Bolschoi Theater in Moskau.

Wir leben und schlafen insgesamt sieben Tage im Zug, umgeben von 39 Mitreisenden in der 3. Klasse im Großraumabteil. Ohne Privatsphäre, dafür mit lieben Menschen, manchmal auch Tieren, viel Kontakt und Essen. Wir leben streng nach Moskauer Zeit, halten an Bahnhöfen, kaufen von russischen Mütterlein frisch gepflückte Himbeeren, Trockenfisch und – als Klassiker in der Transsib – asiatische Fertignudeln. Denn jedes Zugabteil besitzt einen Samowar, sodass es uns an Tee nie mangelt. An Waschgelegenheiten jedoch sehr, die Toiletten im Zug werden vor größeren Bahnhöfen bereits bis zu 60 Minuten vor Ankunft geschlossen, um die Geruchsbelästigung auf den Gleisen einzudämmen. Lange Zugfahrten verbringen wir träumend aus dem Zugfenster in die Taiga schauend, auf unseren E-Book-Readern lesend oder Rommé, Schach und Mau-Mau spielend.

Von Darmstadt bis in die Mongolei leben wir bei einheimischen Familien, Studenten, in WGs. Wir wohnen kostenlos, verständigen uns mit Händen und Füßen, lernen über das Leben vor Ort, probieren lokale Gerichte, begleiten unsere Gastgeber in ihre Gotteshäuser, auf Partys und beim Bummel durch die Stadt. Wir bringen im Gegenzug Reisegeschichten, deutsches Essen, Musik, Einladungen zum Essen oder ins Museum, Abwechslung in den Familienalltag und den Duft der großen weiten Welt mit. Wir schlafen inmitten einer alternativen, russischen WG-Party oder in einem luxuriösen Appartementkomplex, dem Zuhause einer alleinerziehenden Fluglotsin in Ulaanbaatar in der Mongolei. Hierfür nutzen wir die Plattform www.couchsurfing.de. Wir treffen ausschließlich auf gastfreundliche, sehr interessierte Menschen, egal ob im Uralgebirge, in Sibirien oder Burjatien.

Aus dem flächenmäßig größten Land reisen wir in das am wenigsten besiedelte Land der Welt weiter: in die drei Millionen Einwohner reiche Mongolei. Im Einklang mit der Natur und den Viehherden leben wir gemeinsam mit Nomaden im Nationalpark des Orkhontals in der Zentralmongolei. Wir bewohnen eine eigene kleine Jurte, heizen jeden Abend kräftig auf unserem Holzofen ein, um der herbstlichen Nachtkälte zu trotzen, kochen über offenem Feuer, reiten auf russischen Ledersätteln durch die Tundra und probieren uns tapfer durch Yakjoghurt, vergorene und gesalzene Stutenmilch, Airag genannt, und Ziegenfleisch. Unsere Gastfamilie, Mama, Papa und vier Kinder im Alter von 3, 10, 16 und 20 Jahren besitzt mehr als 500 Tiere: Yaks, Ziegen, Schafe und Pferde. Ihr Tagesrhythmus ist jetzt im Spätsommer, der Milchsaison, vorgegeben von dem Melkzeiten der Tiere: bis zu insgesamt zwölf Mal am Tag werden Yaks, Ziegen und Stuten gemolken. Die Milch wird niemals direkt genossen, sondern bereits in getrockneten Yakquark, Aruul, als Wintervorrat verarbeitet.

Unsere Mägen kämpfen hart gegen das fettige, fleischhaltige und vergorene Essen, doch haben wir viel Spaß beim Ziegenmelken, Adler und Murmeltier beobachten, der Verkostung selbsthergestellten Milchschnapses und unserer gebärdenreichen Kommunikation. Um der Gastfreundschaft in allen Ländern Rechnung zu tragen, haben mein Mann Julian und ich unsere über 15 Jahre währende vegetarische Ernährung aufgegeben, wobei uns dies sehr schwer fällt. Eines Nachts schleichen sich Wölfe heran, ganz verschlafen begreifen wir erst am nächsten Morgen, was das nächtliche Hufgetrappel, das wilde Hundebellen und die Motorradfahrten bedeuteten: unsere Gastfamilie schaffte es, das Rudel zu vertreiben ohne Verlust eines Schafes oder einer Ziege. Diese gab es, frisch von Menschenhand geschlachtet, am nächsten Tag zum Abendessen. Unsere Tochter Amalia verschlief das Abenteuer komplett, sorgte sich dann aber um die nun hungrig gebliebenen Wölfe.
Ein anderes Bild zeigt sich in Ulaanbaatar: die Luftverschmutzung ist hoch, nahezu die halbe Bevölkerung der Mongolei lebt hier, es gibt deutsche Supermärkte, internationale Restaurants, Universitäten und einen Jazzclub. Wir genießen bewusst die in der pulsierenden Metropole angesagte koreanische, japanische und (seltener) die vegane/vegetarische Küche, die in einigen buddhistischen Zentren serviert wird. Julian kommt hier seiner Leidenschaft nach und spielt viele Konzerte. In der Jazzabteilung des staatlichen Musikkonservatoriums, unterstützt durch das Goethe-Institut, gibt er Workshops für Gitarristen.

Aber auch in der Metropole gibt es Jurtenstadtteile, in denen wilde Hunde umherstreifen. Das wichtigste spirituelle Zentrum Ulaanbaatars ist dort: das Gandan Kloster beherbergt Mönche, eine Schule und verschiedene Universitätsinstitute. Die 30 Meter hohe Statue von Meijd Janraiseg – dem Gott, der alles sieht – steht auf einer mit Bronze ummantelten Jurte, um die Verwobenheit von Religion und der mongolischen Kultur zu symbolisieren, die während der Sowjetzeit gezielt untergraben wurde. Gespannt beobachten wir die unabdingbare Loyalität zu Russland, der mehr als 50 Jahre währenden Sowjetzeit zum Trotz, wurde doch durch die sowjetische Besatzung der Erzfeind China besiegt. Vor der chinesischen Botschaft verbringen wir ünrigens viele Stunden und warten auf unser Visum.

Unserer Familie bekommt das Reisen ungemein gut, auch die räumliche Enge, die ungefilterten Emotionen und das ständige Beisammensein genießen wir. Freiheiten brauchen wir Eltern dennoch, wir verwirklichen uns in der Musik und im Schreiben. Häufige Spielplatzbesuche, bei denen sich spontane Spielfreunde finden, geben uns Eltern Luft und Amalia jede Menge Spaß. Auch die Abende gehören uns Erwachsenen.

Doch vergessen wir die Schule, manchmal zum Leidwesen unserer Tochter, nicht: Diktate werden parallel mit ihrer Klasse in der Griesheimer Schule geschrieben, Deutsch und Mathematik steht auf dem täglichen Stundenplan. Bei uns gibt es zwar keinen ganzen Schultag, dafür aber keine Ferien und Wochenenden. Manchmal reicht es nur für das mündliche Üben des Einmaleins im Reisebus oder Boot, doch auch Tagebuch und Briefe schreiben bringt Praxis. Meist jedoch bemühen wir die hessischen Workbooks, die passenden Online-Apps, und das alles meist ohne Streit. Dennoch gibt es auch einmal Zank und Zoff zwischen unseren Morgenmuffeln und der Lärche, dem Chiller und den Tatendurstigen. Nicht immer passen low budget Reisepläne, Tagesrythmus und Stimmungshochs zusammen: dann geht es einmal die Achterbahn hinab ins Stimmungstief, aber auch immer wieder hinauf.

Vera Gramm wird auch in der kommenden Ausgabe über ihre Erlebnisse berichten. Weitere Weltreisegeschichten gibt es unter
www.veragramm.com

Wir leben mit einer Schauspielerin einen Monat in Ulaanbaatar und fühlen uns fast angekommen, bevor es weitergeht: Richtung Süden, in die Wüste Gobi mit russischem Allrad-Kleinbus und Zelt, um anschließend die chinesische Grenze Richtung Peking und Chinesischer Mauer zu überqueren. Hier trennen sich vorläufig unsere Wege, denn Julian fliegt zum Musik machen im Oktober zwei Wochen in die deutsche Heimat und wir beiden Mädels treten das nächste große Abenteuer an: wir fliegen an die Westküste Australiens, wo wir unser männliches Familienmitglied sehnsüchtig erwarten. Neben Perth besuchen wir dann Darwin, Melbourne und fahren einmal 2500 Kilometer quer durch Australien, bevor wir auf dem Weg Richtung Philippinen in Bali einen Zwischenhalt einlegen werden.

Wir erleben die Zeit intensiv und am allerwichtigsten: Wir erleben uns als ein verlässliches, liebevolles Team mit jeder Menge Spaß am Reisen!