Von der Sonne geblendet, blinzle ich auf den indischen Ozean hinaus: Kilometer lange Sandstrände erstrecken sich südlich von Perth, nur 15 Minuten von unserem temporären Zuhause entfernt. Da sehe ich ihn: einen Delfin. Zwischen den Schaumkronen der Wellen springt er einen perfekten Bogen. Ohne Fotoapparat ist dies ein Moment konserviert nur in unseren Köpfen, an unserem ersten Strandtag, dem noch unendlich viele an der Westküste Australiens im Frühsommer folgen werden, welch ein schöner Einstieg für unsere Zeit in Australien.

Der erste Teil unserer einjährigen Weltreise zu dritt (das sind Musikermann Julian, unsere siebenjährige Räubertochter Amalia und ich) ist zu Ende: unsere Tour durch Polen, Weißrussland, Russland, die Mongolei und China findet in Peking mit einem mehrtägigen Besuch an der Chinesischen Mauer ihr Ende. Zuvor lernen wir die Wüste Gobi im Süden der Mongolei und ihre gastfreundlichen Bewohner lieben: wir schlafen bei Familien auf Jurtenböden, erklimmen die längste Sanddüne Khongor, schlachten Schafe, verschmähen Ziegenhirn als Snack zwischendurch, ruckeln im russischen Van über Schotterpisten, frieren und schwitzen abwechselnd, denn in der kältesten Wüste der Welt fällt auch Schnee und die Temperatur unter den Gefrierpunkt.

Wehmütig verabschieden wir uns von der Transsibirischen Eisenbahn und treten in die 12-Millionen-Metropole Peking hinaus: Der Herbst zieht ein und färbt die zweithöchste Feiertagswoche Chinas (die Goldene Woche um den Nationalfeiertag am 2. Oktober) wahrhaftig in strahlendes Licht: Peking ist schick herausgeputzt, Blumenarrangements schmücken die Straßen, in die sich Touristenmassen aus dem ganzen Land ergießen. Doch alle sind fröhlich, freundlich und in Urlaubsstimmung, wir fühlen uns sehr wohl, besichtigen den Tiananmen Platz, die Verbotene Stadt und den Himmelstempel. Einen vollen Tag verbringen wir in der Eastman Gitarrenfabrik und beobachten Schritt für Schritt das Entstehen von Western-, Archtop und E-Gitarren. Doch auch zum Schlendern nehmen wir uns Zeit: das lebende Fisch- und Krebsangebot im Supermarkt fasziniert vor allem Amalia, wir probieren uns durch Garküchen, Restaurants und sind so froh zu einem privaten Familienessen mit anschließender Teezeremonie eingeladen zu werden.

Gerade zwei Stunden außerhalb Pekings klettern wir wagemutig stundenlang über zerfallene Teile der Chinesischen Mauer, umgehen einsturzgefährdete Wachtürme und flanieren auf den restaurierten Mauerabschnitten. Mehrere Tage wohnen wir auf dem Land im Gästehaus einer Familie, bestehend aus den Großeltern und ihren Enkeln, am Wochenende erweitert durch die in der Stadt arbeitenden Eltern, inmitten von Hühnern, Kaninchen und Gänsen. Verständigen können wir uns nicht, bekocht werden wir trotzdem: Mit Gemüse aus dem eigenen Garten und Fleisch der eigenen Hühner.

Während Julian zwei Wochen in Deutschland Musik macht (www.juliangramm.com), entdecken wir Mädels die Hauptstadt des größten Bundesstaates Australiens, Perth, die viel zu bieten hat: Kostenlose Museen, Inseln im Swan River, der in den Ozean mündet, Kulturfestivals, den größten innerstädtischen Park Australiens und immer wieder Spielplätze. Sie bestechen mit Wasserläufen, Geräumigkeit, strahlend weißen Sandkästen und großen Matschplätzen. Auch Wasserfontänen mit Lichteffekten sind bei Kindern beliebt. Beeindruckt hat uns eine Nacht, bei der wir kostenfrei indigenen Noongar Australiern (im deutschen häufig noch als Aborigines bezeichnet) bei ihren Gesängen, Tänzen und Didgeridoo-Spiel beiwohnen durften, ausgerüstet mit Picknickkorb und Wolldecke. Schön, die unterschiedlichen Kulturen Australiens im Umgang miteinander zu beobachten, auch wenn dieser Umgang noch einer zarten, kleinen Pflanze gleicht, die viel Zuwendung benötigt. Ist es doch erst zehn Jahre her, dass der damalige australische Präsident eine erstmalige, offizielle Entschuldigung im Fernsehen verlas für das Unrecht, das Abertausenden von indigenen Australiern seit der Landung der ersten Siedler angetan worden war (den sogenannten „Lost Generations“).

Wir Damen vermissen unser fehlendes Familienmitglied und sehnen den Tag herbei, an dem wir ihn jauchzend vor Freude am Flughafen wieder willkommen heißen: „Kaya, bart, kaya!“, wie es in Noongar heißt (Willkommen, Papa, willkommen!). Auch das in Australien weit bekannte und ausgezeichnete Kaleidoskop-Festival, voller Livemusik, Lichtinstallationen, Kunstausstellungen (gerade die indigene Dot Art Kunst begeistert mich) und leckerem Essen aus aller Welt, beschert uns wieder vereint einen herrlichen Abend.

Wir nutzen weiterhin die Plattform Couchsurfing, um bei lieben, multikulturellen Menschen zu leben und erweitern unsere Art zu reisen um das Haus-Sitten: Wir kümmern uns um Haus, Hühner, Katze und Post der Familie, während diese selbst in Urlaub ist: ein großer Gewinn für uns. Amalia genießt ein eigenes Zimmer, die morgendliche Routine beim Schulaufgaben machen und das tägliche Schwimmen im Indischen Ozean. Wir nutzen die kostenlosen Gasgrills am Strand für in die Lieblingsfreizeitbeschäftigung der Aussies (neben Wassersport, Cricket, Pferderennen, ach, jeder Art von Sport): Barbecue. Wegen der hohen Feuergefahr immer ohne Holzkohle!

In Wildlife-Parks streicheln wir Wombats und Koalas, füttern Kängurus und werden von Papageien als Landeplatz genutzt. Wir beobachten Kängurus auf Golfplätzen, innerstädtischen Parks und Verkehrsinseln, wir besuchen die größte Zwergpinguin-Kolonie Westaustraliens, sehen Möwen und Pelikane brüten und lernen unendlich viel über die australische Natur: Kängurus haben immer zwei Babys, liebevoll Joeys genannt, unterschiedlichen Alters (und zwei Gebärmütter!) und sie produzieren für jedes die passende Muttermilch; die einzigen eierlegenden Säugetiere, die Schnabeltiere, besitzen giftige Stachel und keine Milchdrüsen, sodass die Milch aus dem Fell heraus geleckt wird; in Australien kommen acht der zehn weltweit giftigsten Schlangen vor; Krähen und Raben klauen Käsebrötchen aus der Hand, von der Picknickdecke und so weiter und so fort…

Kaum können wir es erwarten nach einem Monat im Westen des Landes die Goldcoast, den Regenwald im Norden um Darwin, das Outback und Melbourne kennenzulernen und langjährige, gute Freunde wiederzusehen. Weihnachten am Strand, Adventszeit in der Wüste, Nikolaus am Uluru, wie das wohl wird? Eines ist klar: Ab dem 1. Dezember reist ein Adventskalender mit uns und der Weihnachtsmann bringt in Australien die Geschenke erst am Morgen des 25. Dezembers. Am liebsten steckt er sie in aufgehängte Socken am Wohnzimmerkamin. Sicherheitshalber schreibt Amalia ihren Wunschzettel in englisch und deutsch mit passenden Bildern dazu, denn wer weiß schon, welche Sprache der Weihnachtsmann mit seinen Wichteln in Down Under spricht.

Nach Weihnachten haben wir noch sechs spannende Monate in Südostasien vor uns: Unsere vorläufige Reiseroute bringt uns über Bali, Timorleste, Myanmar bis nach Vietnam, Laos und Kambodscha.

Ein frohes Fest, bis zur nächsten Ausgabe!

Vera Gramm wird auch in der kommenden Ausgabe über ihre Erlebnisse berichten.

Weitere Weltreisegeschichten gibt es unter

www.veragramm.com