„Guten Tag, ich heiße Son. Wie heißt du?“ –
„Hallo, ich heiße Thang. Wie alt bist du?“

Fleißig üben wir in Hanoi mit Deutsch lernenden, jungen Vietnamesen, die mit der bestandenen Sprachprüfung nach Deutschland kommen möchten, um zu Studieren oder zu Arbeiten. Viele von ihnen möchten als Kranken- oder Altenpfleger arbeiten. Wir unterrichten Grammatik, Amalia holt ihre Deutschbücher der 2. Klasse heraus und spielt Buchstabenspiele. Gemeinsam wohnen wir in einem typischen Hanoi-Stadthaus: Auf fünf Stockwerke verteilen sich fünf Zimmer, nach Geschlechtern getrennt wohnen wir in Schlafsälen, kochen gemeinsam, gehen schwimmen, essen leckere Pho Suppe, fahren erstmals wieder Roller (als Mitfahrer), um leckere Desserts-Touren durch Hanoi zu unternehmen: gerne gegessen wird schwarzer Klebreis mit Joghurt oder Kondensmilch mit Gelee, Obst und Nüssen. Das meiste hat eine auch für Julian leicht essbare, weiche Konsistenz. Ansonsten ist Julian nach seinem Rollerunfall in Indonesien wieder fit und muss nun die Arztbesuche in Deutschland abwarten.

Vietnamesisch ist eine Einsilben Sprache, kein Wort besteht aus mehr als einer Silbe. So heißt es im Vietnamesischen Ha Noi, Ha Long, während wir in der deutschen Übersetzung die Silben zusammenziehen. Es gibt sechs Tonhöhen, dafür keine Deklinationen und Konjunktionen. Dementsprechend verblüfft steigt der Dativ aus dem Lehrbuch hervor. In Vietnam, seit 2011 Schwellenland, couchsurfen wir wieder durch das Land, in den Entwicklungsländern Kambodscha und Laos war dies nicht bekannt. Auch gibt es ein Eisenbahnnetz, wir durchqueren das Land von Nord (Hanoi) nach Süd (Hoh Chi Minh Stadt) auf der sogenannten Wiedervereinigungstraße.

Ich leide noch immer unter den Nachwirkungen der 27 stündigen Busfahrt von Luang Prabang in Laos nach Hanoi. In provisorischen doppelstöckigen Betten schaukeln wir liegend (sitzen ist aufgrund geringer Höhe unmöglich) auf viel zu schmalen, ungeteerten Straßen durch Gebirge und Schlaglöcher. Mehrmals verabschiede ich mich mental von meinem Leben, mein Magen ist unversöhnlich. Julian und Amalia schlafen einfach 19 Stunden!

Hanoi hat sechs Millionen Einwohner, von denen die meisten Erwachsenen auf dem Land groß geworden sind, die noch immer wissen, wie sich die zarten Reishalme auf den Feldern anfühlen, wie man Fische angelt und Ratten brät. Gleichzeitig wohnen hier sieben Millionen Roller, die eine infernalische Geräuschkulisse bilden. Abgase, das Verbrennen von Geistergeld auf den Gehsteigen, Grillfleisch-Geruch, Staub der abertausenden Baustellen, wie ein Rülpser aus den Gedärmen der Stadt schwängern die Luft.

Gefühlt bewegt sich die Hanoier Blechlawine ähnlich der Gesprächskultur in Vietnam in immer enger werdenden Kreisen, um ans Ziel zu kommen. Starres, lineares, (typisch deutsches?) von A nach B gelangen, ist nicht verbreitet. Wir passen uns an und teilen Gehsteige mit Rollern, spielenden Kindern, anderen bleich-roten Touristen, stillenden Müttern, Bambuspfeife rauchenden und Kaffee mit Kondensmilch schlürfenden Männern. Die UNESCO Weltkulturerbestadt Hoi An macht es anders: Die Innenstadt ist Auto- und Rollerfrei, dafür quellen insbesondere asiatische Touristen in die kleinen, von gelben Kolonialhäuschen gesäumten Gässchen. Gerade die Jahrhunderte alte Handelstradition mit Japan macht Hoi An zu Recht im Pazifikraum bekannt. Laut Legende verbindet eine große Schlange mit ihrem Kopf in Indien, ihre Rücken in Hoi An und ihrem Schwanz in Japan den Handel der drei Länder. Auch die Halong Bucht gehört zum UNESCO-Welterbe und bietet Sonnenuntergänge, Tintenfische zum Angeln, Seekayakrouten und mehrtägige Kreuzfahrten satt.

Vietnam als kommunistisches Land öffnet sich seit 1986 dem Weltmarkt. Entwicklungshilfegelder wandeln sich in Klimaschutzgelder, denn das politisch als unfrei geltende Vietnam ist mit etwa 8000 Kilometer Küstenlinie eines von der Klimaerwärmung am meisten betroffenen Länder. Pressefreiheit ist bis 2019 nicht vorhanden, besonders das Gesundheitssystem, Staatsorganisationen und das Bauwesen gelten als korrupt.

Viel ärmer ist Laos, das einzige südostasiatische Land ohne Küste, das meist bombardierte Land der Erde mit nur sieben Millionen Einwohnern, von denen die meisten als Reisbauern auf dem Land leben. Laos wurde gebeutelt von der Kolonialherrschaft der Franzosen, der kurzen Besetzung der Japaner während des zweiten Weltkriegs, den Indochinakriegen, den schweren Bombardierungen durch die US Luftwaffe, Bürgerkriegen und der noch immer bestehenden kommunistischen Herrschaft der Pathet Lao. Erstaunlich wasserreich präsentiert sich der Süden Laos mit dem breitesten Wasserfall der Welt, den Mekongfällen. Inmitten liegt die kleine Insel Don Det, auf der wir feucht-fröhlich Buddhas mit selbst gemachtem Kräuterwasser putzen, um das laotische Neujahr voller Glück zu begehen.

In ganz Asien wählen wir wann immer möglich das Fahrrad als Fortbewegungsmittel, mal gibt es ein passendes für Amalia, mal lässt sie sich ganz „blonde Prinzessin“ mit Kuscheltier im Arm und Hut auf dem Kopf auf dem Gepäckträger kutschieren. Hier lebt sie in tranceartigem Gottvertrauen: Sie isst während ich uns über die sechsspurige Straße in Laos Hauptstadt radle, sie spielt Gedanken während ich im allgemeinen Flow die rote Ampel ignoriere, sie winkt den Kindern, Hunden, Katzen am Wegesrand, während ich hügelauf – hügelab, Schlagloch-rein – Schlagloch-raus von Insel zu Insel im Mekong-Fluss radle.

Laos ist ein Land zum Lieben: das Leben scheint um viele Umdrehungen langsamer als bei seinen Nachbarn, die Natur bietet unendliche Schätze, immer mehr Gebiete werden von Minen geräumt, die junge Landbevölkerung ist über die Gefahren von Bomben und Granaten aufgeklärt, die Analphabetenrate sinkt und liegt derzeit bei 31 %.

Besonders hervorzuheben ist das Naturschutzgebiet um die sieben Kilometer lange, 100 Meter hohe, nur mit dem Boot zu durchquerende Konglor-Höhle nahe dem ehemaligen Hoh-Chi-Minh Pfad, der die Versorgung der Untergrundkämpfer der Vietkong in Südvietnam gewährleistete und im Vietnam Krieg mit Agent Orange verseucht wurde.

Luang Prabang, die ehemalige Königsstadt und das buddhistische Zentrum Laos präsentiert sich, umgeben von zwei Flüssen, mit mehr als 80 Tempeln, Pagoden und Klöstern bunt, leuchtend und nach Räucherstäbchen duftend. Von Calciumcarbonat grün gefärbte Wasserfälle schlängeln sich durch die tief grünen Regenwälder. Höhlen voller Buddhastatuen lassen sich bestaunen und nur mit dem Langboot erreichen, der Bettelgang, Tak Bat, der buddhistischen Mönche findet jeden Morgen um fünf Uhr statt. Traditionell dürfen sie nur das essen, was ihnen geschenkt wird. So sitzen und stehen Laoten mit geneigten Köpfen in der Innenstadt Luang Prabangs und bieten selbst zubereitetes Essen dar. Die Segnung empfangen sie würdevoll und selbstverständlich zugleich.

In Laos bekennen sich mehr als 80 Prozent der Menschen zum Buddhismus, in Vietnam sind es lediglich 9,5 Prozent. Beide Länder haben mit Kambodscha die weite Verbreitung des Ahnenkults, des Geisterglaubens und des Animismus gemeinsam. Zu unterschiedlichen Teilen und gut gemischt mit einer Prise Taoismus, Schamanismus ergibt sich für jede Ethnie, jede Minderheit eine ganz eigene Glaubensform. Doch Hausgeister haben nahezu immer ein kleines, buntes Miniaturhäuschen in dem Familienhaus, ebenso darf ein Ahnenaltar nicht fehlen. Alle, auch Buddha, werden zu gleichen Teilen mit Räucherstäbchen, Kokosnüssen, Obst und Klebreis versorgt.

Bald, viel zu bald, fliegen wir über Singapur nach Griechenland und verabschieden unseren Hahn im Korb: Julian kommt Mitte Juni für Sommerauftritte nach Hause, während Amalia und ich pünktlich zum Schulstart zurückkehren. Über das griechische Festland, Mazedonien und endlich auch die deutsche Hauptstadt Berlin, wo wir Julian in die Arme schließen werden, reisen wir für uns drei Gramms authentisch mit dem Zug zurück nach Griesheim.

Vera Gramm wird in der kommenden Ausgabe ein letztes Mal über ihre Erlebnisse berichten. Weitere Weltreisegeschichten gibt es unter
www.veragramm.com