Auf Kindergeburtstagen darf mindestens ein Kind mindestens eine Sache nicht essen oder trinken. Erzieher*innen bekommen lange Listen mit Unverträglichkeiten. Manch einem Erwachsenen kommt es so vor, als hätte es das früher alles nicht gegeben. Leiden wir wirklich unter immer mehr Allergien und Nahrungsmittelintoleranzen? Sind sie eine Mode-Diagnose oder eine neue Volkskrankheit? Und wie geht man damit um? Vor allem, wenn es Kinder betrifft?

Nahrungsmittelunverträglichkeit – im engeren Sinn erfasst der Begriff und insbesondere die synonym gebrauchte Bezeichnung Nahrungsmittelintoleranz nur Unverträglichkeitsreaktionen ohne toxischen und/oder allergischen Hintergrund.“ (Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungsmittelunvertraeglichkeit)
„Die Nahrungsmittelallergie oder Lebensmittelallergie ist eine besondere Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit. Sie ist gekennzeichnet durch eine spezifische Überempfindlichkeit (Allergie) gegen bestimmte Stoffe, die in der Nahrung enthalten sind und mit ihr aufgenommen werden.
Bei Erwachsenen treten Nahrungsmittel-Allergien in etwa ein bis fünf Prozent der Fälle auf, bei Kindern etwas öfter mit etwa fünf bis zehn Prozent. Nahrungsmittelintoleranzen kommen mit durchschnittlich etwa 30 Prozent hingegen deutlich öfter vor.“
(Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungsmittelallergie)

Wenn regelmäßig Beschwerden nach dem Verzehr gewisser Lebensmittel auftreten, ist es wahrscheinlich, dass entweder eine Allergie oder eine Unverträglichkeit vorliegt. Das gilt für Erwachsene und Kinder. Wenn man sich nicht sicher ist oder die Beschwerden stark oder besonders häufig vorkommen, sollte ein Arzt zu Rate gezogen werden, der eine differenzierte Diagnose stellen kann. Denn fast alle Symptome einer Unverträglichkeit und/oder Allergie können auch bei anderen Erkrankungen vorkommen.

Und auch Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind nicht ganz einfach auseinander zu halten, weil die Symptome sehr ähnlich sein können. Die Ursachen für beide Erkrankungen sind jedoch unterschiedlich.
Der große Unterschied liegt in der Beteiligung des Immunsystems. Bei einer Nahrungsmittelallergie lösen die betreffenden Stoffe (Allergene) eine Überreaktion des Immunsystems aus. Bei Nahrungsmittelintoleranzen ist das Immunsystem nicht direkt beteiligt. Hier „verträgt“ der Körper den jeweiligen Stoff aus verschiedenen Gründen nicht. Bei einer Allergie kann schon eine minimale Menge ausreichen, um eine entsprechende Reaktion auszulösen. Bei einer Unverträglichkeit hingegen werden häufig kleine Mengen des Lebensmittels ohne Beschwerden vertragen.

Bei diesen nicht-allergischen Nahrungsmittelintoleranzen (wie zum Beispiel Laktose- und die Fruktoseintoleranz) kann es sich um sogenannte Malabsorptionen handeln, das heißt um eine Enzymschwäche, die zu Verdauungsproblemen führt. Der Körper ist in diesem Fall nicht in der Lage, bestimmte Zucker aufzuspalten.

Unverträglichkeiten können sich unter anderem in Symptomen wie Blähungen, Durchfall, Krämpfen oder Schmerzen im Magen-Darm-Trakt äußern.
Bei kleinen Kindern kommen Nahrungsmittelallergien häufiger vor. Das ist Teil einer normalen physiologischen Entwicklung. Viele dieser Allergien verschwinden im Laufe der Zeit dann wieder. Die Hauptauslöser bei Säuglingen und Kindern sind meist Kuhmilch, Soja, Hühnerei, Weizen, Erdnüsse und Haselnüsse. Jugendliche und Erwachsene reagieren in der Regel häufiger auf rohe Gemüse- und Obstsorten, Nüsse, Fisch, Krebs- und Weichtiere. Die Reaktionen auf rohe Gemüse- und Obstsorten treten in Kombination mit einer gleichzeitig vorliegenden Pollenallergie auf (sogenannte Kreuzallergien).

Die vier häufigsten Intoleranzen:

• Laktoseintoleranz
Betroffene vertragen Milchzucker schlecht, der in Milch und vielen Milchprodukten steckt.
• Fruktoseintoleranz
Betroffene können Fruchtzucker nicht gut aufnehmen. Dieser ist in Früchten sowie in vielen gesüßten Fertigprodukten (z.B. Joghurt) enthalten.
• Histaminintoleranz*
Betroffene reagieren empfindlich auf histaminreiche Lebensmittel (z.B. reifer Käse, Schokolade und Wein).
• Gluten-Sensitivität:
Betroffene reagieren auf das in vielen Getreidesorten enthaltene Eiweiß Gluten mit Verdauungsbeschwerden.

Wichtig: Eine Sensitivität ist keine Zöliakie.

* Es wird jedoch von Expert*innen viel darüber diskutiert, ob es eine Histaminunverträglichkeit wirklich gibt, da die wissenschaftlichen Ergebnisse darüber (und ihre Auswirkungen) noch nicht ausreichend vorhanden sind.

War früher alles besser?
Gibt es heute mehr Unverträglichkeiten?

Allergien haben in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Inzwischen sind etwa 30 Prozent der Bevölkerung betroffen. Dazu gehören neben Heuschnupfen, allergischem Asthma auch Nahrungsmittelallergien.

Das heißt, es leiden heute tatsächlich mehr Menschen an einer Allergie gegen bestimmte Lebensmittel. Das ist auch in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar. Seit Dezember 2014 müssen Hauptallergene in der Zutatenliste hervorgehoben werden. Außerdem müssen auch bei unverpackten Lebensmittel schriftlich hinterlegte Kennzeichnungen über die Hauptallergene vorhanden sein.

Die andere Seite

So viel zu den Fakten. Ja, es gibt mehr Allergien und Unverträglichkeiten als früher. Und Lebensmittelallergien können natürlich gefährlich sein, im schlimmsten Fall sogar lebensgefährlich. Deswegen ist es immer wichtig, ärztlichen Rat einzuholen und sich dementsprechend zu ernähren und auslösende Lebensmittel zu meiden. Und natürlich gibt es auch Nahrungsmittelintoleranzen. Die Betroffenen müssen oft lange suchen und unter ihren Beschwerden leiden, bis endlich die Ursachen ermittelt werden können. Für diese Zielgruppe gibt es heute glücklicherweise in Supermärkten ganze Regale, die mit laktose- und glutenfreien Produkten gefüllt sind. Aber es ist etwas aus den Fugen geraten.

Tipp: Ernährungstagebuch führen

Hat ihr Kind häufig Bauschmerzen oder andere Symptome? Sie sind aber nicht sicher, ob es etwas mit (bestimmten) Lebensmitteln zu tun hat? Dann kann ein Ernährungstagebuch helfen. In einem Ernährungstagebuch wird über mehrere Tage (oder besser noch Wochen) hinweg eingetragen, was zu welcher Uhrzeit gegessen wurde und wie der Körper darauf reagiert hat. Dabei ist es wichtig, die Speisen und Getränke möglichst genau aufzulisten, auch bei verarbeiteten Produkten. Also immer auf die Inhaltsstoffe achten!

Tipps für den Umgang mit Allergien und Nahrungsmittelintoleranzen
Glücklicherweise ist trotz der meisten Nahrungsmittelunverträglichkeiten eine gesunde und ausgewogene Ernährung möglich. Es kostet am Anfang Geduld und Organisation, aber es lohnt sich.

  • Achten Sie auf eine ausgewogene Nährstoffversorgung trotz Intoleranzen und Allergien.
  • Einige Allergene in Lebensmitteln werden durch die Verarbeitung verändert oder zerstört. Bei Allergien und Unverträglichkeiten kann es also sein, dass man Lebensmittel in einer verarbeiteten Form (besser) verträgt.
  • Nüsse, Sellerie, Erdnüsse und die meisten tierischen Auslöser für Allergien sind allerdings hitzestabil. Von daher sollte man diese Lebensmittel bei Allergie komplett meiden.

Wann muss ich mit meinem Kind zum Arzt?

  • In den nächsten Tagen:
    Wenn Sie bei Ihrem Kind eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder -allergie vermuten.
  • Noch heute:
    Wenn Ihr Kind starke Bauchschmerzen oder blutige Durchfälle hat.
  • Sofort:
    Wenn Ihr Kind Atemnot bekommt.
  • Bei Lebensmittelallergien sollten Sie sich genau informieren, wie der Allergieauslöser gekennzeichnet wird und worauf Sie achten müssen.
    Außerdem sollte man immer die Zutatenliste lesen und besonders auf die Zusatzstoffe achten, die Allergien und Unverträglichkeiten auslösen.
    Es gibt Apps, die dabei helfen, die Inhaltsstoffe zu lesen und zu verstehen: „Codecheck“, „das-ist-drin“, „aid-App E-Nummern-Finder”.
  • Fragen Sie auch bei loser Ware (etwa beim Bäcker) immer nach, was enthalten ist. In vielen verarbeiteten Lebensmitteln stecken Inhaltsstoffe, an die man gar nicht denkt.
  • Da nicht nur natürliche Stoffe, sondern auch künstliche Zusätze Probleme bereiten können, sollten Sie beim Einkauf Lebensmittel in Bioqualität bevorzugen. Unter anderem können zum Beispiel Pestizide, mit denen konventionelles Obst und Gemüse behandelt wird, Unverträglichkeiten auslösen.
  • Beim Deutschen Allergie- und Asthmabund e.V. gibt es viele Tipps und Infos, zum Beispiel Vordrucke für ein Ernährungs-Symptom-Tagebuch: www.daab.de
  • Hat ihr Kind eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder -allergie, sagen Sie unbedingt auch in Kita und Schule Bescheid. Klären Sie folgende Fragen: Hat das Kind eine Lebensmittelunverträglichkeit? Oder Allergie? Wenn ja, welche? Worauf ist zu achten?
  • Achten Sie darauf, dass Sie für Ihr Kind immer eine gute Alternative dabei haben. Vor allem wenn Sie auf Feste oder Geburtstage gehen.

Linktipps:

Ein Beitrag von Alicia Metz

Allergien und Unverträglichkeiten erkennen

Allergien und Unverträglichkeiten erkennen

Dosis:
Unverträglichkeiten sind dosisabhängig. Das heißt: Kleine Mengen des Lebensmittels werden meist vertragen. Bei echten Allergien hingegen führen bereits kleinste Mengen des Nahrungsmittels zu Beschwerden.

Zeit:
Bei Allergien (und Pseudoallergien) treten die ersten Symptome innerhalb von Minuten (oft durch Jucken im Mundbereich) bis etwa 1- 2 Stunden nach der Nahrungsaufnahme auf. Bei Unverträglichkeiten hingegen ist der zeitliche Zusammenhang oft weniger klar und kann sich zudem auch verändern.

Denn es gibt noch eine andere Seite des Themas.

Der Markt für oben genannte Spezialprodukte ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und steht in keinem Verhältnis mehr zu den tatsächlich erkrankten Personen. Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ergab, dass etwa 80 Prozent der Käufer von laktosefreien Lebensmitteln keine nachgewiesene Intoleranz haben.

Bereits 2014 lag der Umsatz für laktosefreie Lebensmittel bei 285 Millionen Euro und für glutenfreie Lebensmittel bei 105 Millionen Euro – Tendenz steigend. Das liegt unter anderem auch an guten Marketingkampagnen und Werbeversprechen. Uns Verbrauchern wird suggeriert, dass solche Produkte ganz allgemein die Gesundheit und das Wohlbefinden steigern könnten. Verbraucherzentralen kritisieren das deutlich und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung warnt davor. Verbraucher bezahlen für diese Speziallebensmittel häufig mehr und riskieren darüber hinaus Nährstoffdefizite und gesundheitliche Einschränkungen.

Bevor man also zu solchen Speziallebensmitteln greift, sollte man lieber ärztlich abklären lassen, ob es wirklich notwendig ist. Das gilt vor allem für Kinder. Vorsicht vor schnellen Selbstdiagnosen.

Das Bild von Essen in unserer Gesellschaft hat sich verändert. Manche nutzen ihre Ernährung fast schon als Statussymbol und sie soll ausdrücken, was für ein Typ Mensch wir sind. Andere sind so vorsichtig und sensibel, dass sie nur noch sehr wenige Lebensmittel essen.

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, den man beim Thema Ernährung und Unverträglichkeiten nicht unterschätzen darf: Der Wandel des Lebensstils oder unser veränderter Umgang mit Essen. Es wird weniger gekocht und viele Menschen haben immer weniger Zeit für ihre Mahlzeiten. Es wird schnell und zwischendurch und häufig außer Haus gegessen. Dafür wird auch häufig auf Fertigprodukte zurück gegriffen. Das gilt leider auch schon für Kinder und Jugendliche.

Diese eingeschränkte Lebensmittelauswahl und der hohe Anteil an verarbeiteten Lebensmitteln haben aber natürlich auch Folgen. Wie gut wir Lebensmittel vertragen, hat durchaus auch etwas damit zu tun, wie wir sie zu uns nehmen.

Das alles führt dazu, dass nur noch wenige Menschen wirklich entspannt UND gleichzeitig bewusst essen. Dabei ist hier – wie bei den meisten Dingen auch – die richtige Balance so wichtig.

Alarmierende Zahlen:

• 17 Prozent aller Kinder können nicht selbständig eine Mahlzeit zubereiten/kochen nie.
• 50 Prozent aller Kinder essen weniger als drei Portionen Obst oder Gemüse am Tag.
• 1,9 Millionen Kinder sind übergewichtig: Der Anteil der Übergewichtigen nimmt mit dem Lebensalter zu. 9 Prozent der 3- bis 6-Jährigen, 15 Prozent der 7- bis 10-Jährigen und 17 Prozent der 14- bis 17-Jährigen sind übergewichtig. Die Adipositas ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter 
geworden.
Quelle: Initiative „Ich kann kochen“ www.ichkannkochen.de

Entspannt euch – Ohne Angst essen!

Die erwähnten Entwicklungen und Trends sind besonders für Kinder gefährlich.
Wie soll man unbekümmert essen, wenn es um einen herum keinen angstfreien Umgang mit Lebensmitteln mehr gibt? Dabei ist vor allem für Kinder ein normaler und gesunder Umgang mit Essen so wichtig. Die Ernährung in Kindertagen ist prägend, denn diese Prägungen und Gewohnheiten werden oft Jahrzehnte lang beibehalten. Kinder sollten die Chance bekommen, zu selbstbestimmten und informierten Essern heranzuwachsen.
Viele Kinder wissen heute gar nicht mehr, wie sie sich eine leckere, ausgewogene Mahlzeit selbst zubereiten können. In vielen Familien wird weder gekocht noch gemeinsam gegessen.

Dabei war das Angebot an Lebensmitteln noch nie so vielfältig wie heute. Doch gerade diese große Auswahl macht es besonders schwer. Viele Menschen haben scheinbar ihr natürliches Verhältnis zu Lebensmitteln verloren. Was bekommt mir und was nicht? Was braucht mein Körper? Fühlen Erwachsene sich ängstlich und verunsichert, ist es natürlich schwierig, etwas anderes an ihre Kinder weiterzugeben.

Was können wir als Eltern also tun? Bei sich selbst anfangen. Vorbild sein und sich nicht verrückt machen (lassen). Kinder zwischen ein und sechs Jahren eignen sich ihr Essverhalten hauptsächlich durch Imitationslernen an. Kochen und essen darf und soll Spaß machen.

Arbeiten Sie deshalb nicht mit Verboten. Langzeitstudien haben gezeigt, dass Verbote aus der Kindheit das Essverhalten noch bis ins Erwachsenenalter beeinflussen. So führen zum Beispiel strikte Süßigkeitenverbote in der Kindheit häufig zu einem hohen Süßigkeitenkonsum im Erwachsenenalter. Statt bestimmte Lebensmittel strikt zu verbieten, sollten Sie lieber gesunde Alternativen anbieten. Gehen Sie gemeinsam einkaufen und kochen Sie zusammen mit ihrem Kind. Lassen Sie Kinder alles probieren und Lebensmittel erleben: Wie riecht es? Wie fühlt es sich an? Wie schmeckt es? So wecken Sie Interesse und machen Lust aufs Kochen und Essen.

Statt Kindern (unbegründete) Angst vor gewissen Lebensmitteln mit auf den Weg zu geben, sollte man ihnen lieber beibringen, Lebensmittel auszuprobieren und ein gutes Körpergefühl zu entwickeln. Was schmeckt mir? Was tut mir gut?