Neben der Muttersprache noch eine oder mehrere Sprachen zu beherrschen, ist eine tolle Sache. Schon Kinder profitieren davon, nicht nur beim Urlaub in einem anderen Land oder um Filme im Original zu verstehen. In der fremden Sprache begegnen sie oft auch einer anderen Kultur und dieser Blick über den Tellerrand fördert das gegenseitige Verständnis in unserer multikulturell geprägten Welt.

Kindergartenzeit:  Die natürliche Neugier nutzen

Also ab zum Frühförder-Englisch mit dem Krabbelkind? Die alte Maxime „Je früher, desto besser“ sehen Experten heute differenzierter, auch von angeblich kritischen Zeitfenstern sollte man sich nicht verunsichern lassen. Die Muttersprache ist und bleibt Fundament und Wegbereiter für alles Weitere. Wichtig ist, dass Kinder darin schon entsprechend gefestigt sind, bevor sie die neue Sprache kennenlernen. Sonst kann es passieren, dass sie am Ende weder die eine noch die andere Sprache ordentlich sprechen.

Andererseits sind Kinder unter sechs Jahren besonders für Sprachen empfänglich. Im Kindergartenalter sind die natürliche Neugier und Wissbegierde groß, die Kinder kommunizieren gerne – viel Potenzial für das unkomplizierte Erlernen einer Fremdsprache. Das bestätigt auch Englischlehrerin Ulrike Klein, die mit ihrer Sprachschule „Easy English“ in verschiedenen Kindergärten in Südhessen arbeitet: „In diesem Alter ahmen Kinder mit Begeisterung Vorbilder nach. Bei den Unterrichtsstunden lernen sie spielerisch anhand von Themen aus ihrer Lebenswelt, mal mit bunten Flashcards, mal wird gesungen und getanzt und auch mal gebacken.“ Gesprochen wird fast ausschließlich englisch, Übersetzungen versucht Ulrike Klein zu vermeiden. „So bekommen die Kinder ein Gehör für die fremde Sprache und lernen schnell ganze Sätze zu verstehen.“ Ähnliches berichtet die Irin Jacqui Reibold, in deren Sprachschule „The Kids English Club“ seit 1995 muttersprachliche Lehrkräfte Kindern ab drei Jahren das Englische näherbringen. „In diesem Alter lernen Kinder die Sprache akzentfrei zu sprechen, sie nehmen die Sprechangebote ohne Berührungsängste an und merken gar nicht, dass es dabei um eine Fremdsprache geht“, erläutert sie die Vorteile des frühen Sprachunterrichts. Reibold ist beeindruckt von dem großen Wortschatz, den sich die Kinder über mehrere Jahre aneignen und der ihnen auch in der Schule Vorteile bringe.

Ein wöchentlicher Englischkurs kann also durchaus Sprachimpulse setzen und zugleich den Blick für Fremdes öffnen. Damit Kinder aber ganz in eine zweite Sprache eintauchen, muss sie Teil der tagtäglichen Kommunikation sein. Immersion oder „Sprachbad“ nennt man diesen Ansatz, den man auch in bilingualen Kitas findet. In Südhessen ist dies etwa die International Preschool im Schuldorf Bergstraße in Seeheim-Jugenheim. Muttersprachler kommunizieren hier ergänzend zum deutschsprachigen Personal im Alltag konsequent in der zweiten Sprache. Das ist für die Kinder einleuchtend und authentisch. Dagegen blocken Kinder ab, wenn sie merken, dass ihre deutschsprachigen Eltern nur zu Förderzwecken mit ihnen Englisch sprechen – das im schlimmsten Fall sogar noch fehlerhaft ist.

Sprachenlernen in der Schule

Spätestens in der Schule kommen dann alle Kinder mit einer Fremdsprache in Kontakt, in Hessen ist das ab der dritten Klasse in der Regel Englisch als Unterrichtsfach. Hier sollen die Kinder spielerisch erste kommunikative Kompetenzen erwerben. In der weiterführenden Schule geht es meist nahtlos mit Englisch weiter, aber auch Latein, Spanisch und Französisch sind als erste Fremdsprache möglich. Für viele Familien mit Viertklässlern eine schwierige Entscheidung – aber die Erfahrung zeigt, dass sich die Sprachkenntnisse spätestens bis zum Kurssystem in der Oberstufe angeglichen haben.

Für polyglotte Familien sind Schulen mit internationaler Ausrichtung eine Option, die als Abschluss das International Baccalaureate anbieten. Bei uns in Südhessen sind dies zum Beispiel der internationale Schulzweig im Schuldorf Bergstraße in Seeheim-Jugenheim (übrigens die einzige öffentliche internationale Schule Deutschlands) und die private Strothoff International School in Dreieich. Das sogenannte AbiBac, also die kombinierte französische und deutsche Hochschulreife, können frankophile Schülerinnen und Schüler in Schwalbach, Wiesbaden oder Frankfurt ablegen.

Nicht immer muss es gleich ein internationaler Abschluss sein. In den Schulamtsbezirken Darmstadt-Dieburg und Offenbach machen eine ganze Reihe von Schulen, überwiegend Gymnasien, bilinguale Angebote. Das bedeutet, dass neben dem klassischen Fremdsprachenunterricht auch der Fachunterricht in einem oder mehreren Fächern – also etwa Biologie oder Erdkunde – bilingual deutsch-englisch oder deutsch-französisch stattfindet. Die Vorteile: mehr Fremdsprachen-Input, erweitertes Fachvokabular ‒ und eine Relativierung des nationalen Standpunktes, wenn etwa in Geschichte der Erste Weltkrieg anhand französischer Quellen behandelt wird. Doch keine Angst: In den bilingualen Kursen sitzen keineswegs nur Muttersprachler und der Einstieg verläuft ganz soft; außerdem kommt es im Sachfach nicht darauf an, sich sprachlich korrekt zu äußern.

Ganz selbstverständlich in der anderen Sprache kommunizieren – das gelingt besonders gut, wenn man im Ausland eine Zeitlang komplett in den fremdsprachigen Alltag eintaucht. Ob zehn Tage in den französischen Alpen oder einen Monat in Australien: Ein Schüleraustausch nimmt die Angst vor dem Sprechen, führt den Sinn des Vokabeln-Lernens vor Augen und manchmal entstehen sogar Freundschaften fürs Leben. Viele Schulen pflegen schon seit Jahren solche Austauschkontakte, aber auch private Institute bieten Auslandaufenthalte oder Ferienkurse an.

Zu Hause hilft es, wenn die Sprache auch ins Familienleben eingebaut wird. Im Frankreichurlaub beim Bäcker selbst seine Croissants zu bestellen oder in London nach dem Weg zu fragen, macht Sprachanfänger einfach stolz. Jüngere können sich mit einem altersgerechten Sprachkurs auf CD oder als App in die fremde Sprache einhören. Irgendwann sind sie so fit, dass auch ein Kinderfilm mit Untertiteln kein Problem mehr ist. Und manch eine Teenager-Mutter staunt dann, wie selbstverständlich die Große ihre Lieblingsserie im Original anschaut und dabei nebenbei ihre Sprachkenntnisse weiter festigt.

Mit einer gewissen Mühe ist das Erlernen einer Fremdsprache aber natürlich trotzdem verbunden. Damit nicht zu viel Schweiß und Tränen fließen, findet ihr in unserem Infokasten weiter unten Tipps, wie es mit dem Vokabeln-Lernen klappt.

Zweisprachig aufwachsen

Vokabeln pauken, Grammatik üben – das können sich Kinder, die zu Hause eine andere Muttersprache sprechen, erst mal sparen. Ihre Erstsprache ist dann Italienisch oder Türkisch, und Deutsch lernen sie als Zweitsprache (die Abkürzung DaZ begegnet euch allerorten). Und von dieser Zweigleisigkeit können sie enorm profitieren. Kinder, die von Beginn an lernen, zwischen zwei Systemen hin und her zu switchen, entwickeln früh ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein. In Tests schneiden sie oft auch in den Bereichen Gedächtnisleistung, Informationsverarbeitung, Konzentrationsfähigkeit, Kreativität und Einfühlungsvermögen überdurchschnittlich ab.

Am Anfang können besorgte Eltern allerdings vielleicht einen anderen Eindruck bekommen: Mehrsprachig aufwachsende Kinder lernen generell langsamer sprechen als ihre einsprachigen Altersgenossen. Das ist aber kein Zeichen einer Entwicklungsverzögerung oder Überforderung, sondern völlig normal. Und auch Sätze im Sprachmix kommen anfangs häufig vor. Eine bewusste Sprachtrennung ist frühestens ab dreieinhalb bis vier Jahren möglich, sagen Experten.

Effektiv und nachhaltig Vokabeln lernen – so geht’s!

Stephen Tepperis vom inhabergeführten Nachhilfeinstitut Pupil’s Help in Darmstadt hat Tipps für euch:

•  Vokabeln lernt man am besten durch Abschreiben – quasi von der Hand direkt in den Kopf!

•  Regelmäßiges, kontinuierliches Üben ist sinnvoller als eine Hauruckaktion vor der Klassenarbeit. Nur durch Wiederholung kann der Lernstoff dauerhaft abgespeichert werden und die Vokabeln bleiben auch nach der Prüfung präsent.

•  Eine Lernkartei funktioniert nach dem Prinzip der Wiederholung: Die Vokabeln werden auf eine Karteikarte geschrieben (vorne deutsche Übersetzung, hinten Fremdsprache) und wandern im 5-Fach-Karteikasten immer um ein Fach nach hinten, wenn sie gewusst wurden.

•  Klebezettelchen, die Alltagsgegenstände mit ihrer fremdsprachigen Bezeichnung versehen, sorgen für eine automatische Wiederholung im Alltag. Größere Zusammenhänge auf ein Lernplakat schreiben und an zentraler Stelle in der Wohnung platzieren.

•  Das Vokabeln-Lernen für verschiedene Fremdsprachen sollte man zeitlich trennen, sonst bewirkt die sogenannte Ähnlichkeitshemmung, dass man die Themen durcheinanderbringt und sich die Wörter nicht merken kann.

•  Passgenau zum Schulbuch gibt es von vielen Verlagen Übungshefte und Vokabellern-Software – praktisch zur Vorbereitung auf die nächste Klassenarbeit.

•  Grammatikbuch in der Zielsprache oder auf Deutsch? Das ist eine Typfrage, aber erfahrungsgemäß kommt das Gros der Lernenden mit Erklärungen in der eigenen Sprache besser zurecht.

•  Und zum Schluss: Jeder lernt anders und die eine richtige Methode gibt es nicht. Einfach ausprobieren, welche der verschiedenen Möglichkeiten für die eigene Familie passt.

Sara und ihr Mann Jose, die aus Spanien kommen und in Darmstadt leben, kennen das. Auch ihre beiden Jungs (vier und sieben Jahre) mischen gerne mal das Spanische mit dem Deutschen. Die Eltern bleiben da ganz gelassen – zu Recht: Korrigieren oder extra üben muss man mit seinen zweisprachigen Zwergen nicht. Und doch ist da immer die Angst, dass die Kinder für die Schule nicht gut genug Deutsch können, gesteht Sara. Ihr Rezept: viele nachmittägliche Aktivitäten (Sportverein, Musikschule) mit deutschsprachigen Kindern. Außerdem besucht der siebenjährige Daniel die Sprachförderung in der Andreasgemeinde. Jose und Sara, deren Deutsch sehr gut ist, sprechen mit den Kindern ausschließlich Spanisch und tun damit genau das, was auch Fachleute raten: Eltern fördern die Sprachentwicklung ihres Kindes am besten, wenn sie ihm in der gemeinsamen Muttersprache Anregungen bieten: ein Bilderbuch lesen, Spiele spielen, über Erlebtes sprechen.

Und wie sieht es in den Familien aus, in denen Mutter und Vater unterschiedliche Muttersprachen haben: Sprachchaos total? „Nein, überhaupt nicht!“, versichert die Amerikanerin Beth Nickmann. Sie ist die Vorsitzende des International Kids’ English Club e.V. (ikec.de) in Darmstadt, der wöchentliche Gruppenstunden für Kinder anbietet, in deren Familie Englisch gesprochen wird. Sie selbst ist mit einem Deutschen verheiratet, ihr Sohn Matthias ist viereinhalb Jahre alt. Die Familie lebt streng nach dem Prinzip „Eine Person – eine Sprache“. Beth Nickmann spricht mit ihrem Sohn ausschließlich englisch. Die Familiensprache ist ebenfalls Englisch. „Wir sind quasi eine Insel des Englischen“, erzählt sie. „Anfangs hat Matthias das wohl für eine Geheimsprache zwischen uns gehalten.“ Die Familie sorgt für reichlich Input durch die abendliche Bilderbuchlektüre, die Fernsehzeit (‚Paw Patrol‘ akzeptiert Matthias nur in amerikanischem Englisch – Deutsch oder britisches Englisch gehen gar nicht!“) sowie intensiven Kontakt via Facetime mit Freunden und Familie in den USA. „Und wenn wir für einige Tage dort waren, hat sich seine Sprachkompetenz vervielfacht!“

WEBTIPP:

www.fmks-online.de (Verein Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen, u. a. Broschüre „Ich kann viele Sprachen lernen“ zum Download)

Beth Nickmanns Sohn findet seine Familiensprache cool und ist stolz darauf, in der Kita als Experte für alles Englische zu gelten. Aber oft gibt es bei bilingual aufwachsenden Kindern auch Phasen, in denen sie die eine Sprache verweigern. Druck ist dann kontraproduktiv, schließlich soll die Sprache mit Positivem verbunden bleiben. Eltern können beruhigt sein: Auch wenn Kinder sich in der „schwächeren“ Sprache nicht aktiv mitteilen, nehmen sie sie in sich auf. Und später können sie dann durchaus (wieder) vom rezeptiven zum produktiven, aktiv sprechenden Mehrsprachler werden.

Überhaupt gibt es fürs Sprachenlernen keine Altersgrenze: Auch als Erwachsene könnt ihr euch noch eine neue Sprache erschließen. Wie wäre es also, parallel zum eigenen Fünftklässler-Kind einfach Spanisch mitzulernen – dafür gibt es an der Volkshochschule Darmstadt sogar extra Elternkurse. Oder ihr bildet als Vorbereitung auf den nächsten Sommerurlaub mit der türkischen Nachbarin ein deutsch-türkisches Sprachtandem. So kann Sprache wirklich zum Schlüssel für neue Begegnungen werden.

Angebote in der Region – eine Auswahl

•  Easy English Darmstadt, Sprachschule für Kinder, easy-english-darmstadt.de

•  The Kids English Club, Sprachschule für Kinder, thekidsclub.de

•  Kindergruppe „Vive les Gamins“, Gruppe des Deutsch-Französischer Kreises Darmstadt e.V. für Kinder mit französischem Hintergrund, darmstadt.dfkd.de. Tipp für Interessierte: Am 9. Dezember findet um 15 Uhr im Schlösschen im Prinz-Emil-Garten, Darmstadt, die Weihnachtsfeier der französischen Kindergruppen statt!

•  The International Kids’ English Club e.V. für Kinder, in deren Familie Englisch gesprochen wird, ikec.de

•  Centro Español Griesheim: Kurse für Kinder (Spanisch als Muttersprache und als Fremdsprache), Eltern-Kind-Kurse,
www.centro-espanol.net